Helmut Maier


Autor

Publikationen


BRISTEN, Roman, Nydegg Verlag


Reinfall am Rheinfall, Kurzgeschichte in "Mord in Switzerland", Hrsg. Devi/Ivanov

Eiskalt in der Sauna, Kurzgeschichte in "Mord in Switzerland II", Hrsg. Ivanov/Devi

Minirock und Orangina, Kurzgeschichte in "Das Chancenplus war ausgeglichen", Knapp Verlag

Vollmond, Kurzgeschichte in Literaturzeitschrift "entwürfe"

Weggedonnert,  Kurzgeschichte in Literaturzeitschrift "entwürfe"


   ELVIRA

   

    Kurzgeschichte


    verfilmt von prêtatourner


    vertont als podcast bei
    Radio SFR unter

    "Schreckmümpfeli"



 (https://www.srf.ch/audio/schreckmuempfeli/elvira-von-helmut-maier?id=11800831)

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Malu, freie Mitarbeiterin der Bundesanwaltschaft, liebt das Unkonventionelle. Für die Aufklärung eines Anschlags am Gotthard zieht sie zwei eigenwillige Kunstfahnder bei: Finn und Kant. Die beiden führen eine Szenegalerie im Zürcher Seefeld. Dumm ist nur, dass sie sich mehr für ihre Auftraggeberin interessieren als für den Fall. Mit fatalen Folgen ... 

Pressestimmen zu Bristen

„Ungewöhnlich und hochspannend“

Tages-Anzeiger, 07.01.2011


„Das Design des Milieus ist dem Autor auf elegante Weise gelungen“, NZZ, 19.2.2011


„Sprachlich meisterhaft gelingen ihm grossartige Bilder und Stimmungen.“ 20-Minuten, 21.12.2010


„Der Autor hat die Gabe, Erotik so zu schildern, dass sie nicht peinlich, sondern auch mal witzig wirkt“

PS-Magazin, 28.10.2010


„Anschaulich-präzise Szenen, vielschichtige Dramaturgie“, St. Galler Tagblatt, 23.1.2012


„Schnelle und bildhafte Sprache“, Wiler Zeitung, 9.2.2011


„Maier... hält den Spannungsbogen und schafft es, ein überraschendes Ende ... zu finden“

Neue Luzerner Zeitung, 9.12.2010


„Seine Fantasie und seine lustvolle Art, mit der Sprache umzugehen, Gefühlen mit gewählten Sätzen Kraft zu geben,... machen «Bristen» zu einem Buch, das packend wirkt“ Alttoggenburger, 6.11.2010


„Das kann Helmut Maier gut: Die Spannung mit Geschichten und Episoden, die er ineinanderschachtelt, aufrecht erhalten.“

Appenzeller Volksfreund, 7.4.2011


„Ein leichtfüssiger Krimi zwischen Uri und urban“

Via Reise-Magazin der SBB

Leseprobe "Bristen"


1

Schon von aussen hatte er ihn im Visier. Er war noch frei und sehr begehrt. Zwar etwas klein und in die Jahre gekommen, dafür mit Blick auf die Limmat. Der Marmortisch in der Ecke seines Cafés. 

     Er war so sehr auf seine Ecke fixiert, dass ihm beinahe die Frau entgangen wäre, die soeben den Tisch verliess. Jenseits der Glaswand, in der sich sein Gesicht spiegelte, etwas zerknittert, noch kaum modelliert, am Vortag rasiert. 
     Der Kellner half ihr in einen hellen Mantel, als Finn das Café betrat. Er nahm nur ihre Umrisse wahr. Sie hätten ihn mehr gefesselt, wenn ihm sein Eckplatz nicht so wichtig gewesen wäre. Trotzdem, für einen Moment war er versucht, sich durch das kurze, zerzauste Haar zu fahren und den Suchenden zu mimen, bis sie vorbeikäme und den Umrissen ein Gesicht gäbe. Doch sein Tisch war auch bei anderen sehr beliebt. Er riss sich von seinem Traum los, wählte eine Zeitung und steuerte auf die Ecke zu. Ihre leere Espressotasse stand noch da. Auf dem Stuhl lag ein Buch. Ein Blick zur Garderobe, dann zur Tür. Die Frau war weg. Er spähte durch das Fenster. Nichts. Sie musste in einer Seitengasse verschwunden sein.

     Den Kopf schief gelegt schielte er von oben auf den Titel des Buches. Er runzelte die Stirn und streifte sein schwarzes Leinensakko über die Stuhllehne, ohne den Blick vom Umschlag zu lösen. Was für eine Frau las solche Bücher? Er könnte kurz die Umschlagseite öffnen. Vielleicht hatte sie ihren Namen hineingeschrieben. 

     Auf der ersten Innenseite stand nur der Untertitel: Eine soziologische Betrachtung von Lukas Arpagaus. Immerhin nichts Esoterisches. Eine Soziologiestudentin? Eher nicht. Auch wenn er sie kaum gesehen hatte, sie schien ihm reifer. 

   Noch im Stehen blätterte er weiter. Nirgends ein handgeschriebener Name, nirgends eine persönliche Notiz, nicht einmal ein Lesezeichen. Nur eine gedruckte Widmung: Für F. Wen die Götter lieben, holen sie jung zu sich. 

Eine verschwommene Erinnerung tauchte auf. Eine Leiche in einem Swimmingpool. Blond. Mit dem Rücken nach oben – Rolling Stones. Those whom the Gods love grow young. Die Widmung auf der ersten Platte nach Brian Jones‘ Tod. Ertrunken im Swimmingpool irgendeiner Farm in England oder Schottland, umwuchert von Spekulationen und wilden Gerüchten. Mord, Selbstmord, Drogen, Alkohol. Dabei lag es nur am Asthma. Ein dummer Unfall. – Das konnte ein Anknüpfungspunkt werden, falls die Studentin zurückkäme. Damit musste sich ein erstes Gespräch am Leben erhalten lassen. Er würde ihr eine Chance geben und im Text herumstöbern. Die Vernissage konnte auch ohne ihn beginnen. 

 

Gelegentlich legte Finn das Buch weg, liess das Gelesene wirken. Er schloss die Augen und sauste in diesen Tunnel, der ihn mit Urgewalt in sich hineinsog und ihn an die Schwelle des Diesseits katapultierte. Am Ende ein gleissend weisses Licht, ein von Helligkeit durchfluteter Raum, eine schattenlose Gestalt. Dazu ein paar tote Bekannte, die ihn misstrauisch musterten. Natürlich genau jene, auf die er im Leben schon gerne verzichtet hätte. Vernachlässigte Verwandte und übelgelaunte Feinde als letztes Gericht. So hatte er sich den Himmel nicht vorgestellt. Nicht einmal die Hölle. Obwohl er ihr jeden Hinterhalt zutraute. 

     Er schlug die Augen auf. Wenigstens stand der Latte macchiato noch da. Langsam tauchte er den Löffel in den Schaum. Sein Blick glitt über die Schrift auf dem blauen Einband. Nahtod – ein unsterblicher Mythos. Interessantes Wortspiel.

     Seine Gedanken blieben hängen, während sich der Schaum auf der Zunge verflüchtigte. Dieser Film, dieses Leben im Zeitraffer. Wie lange mochte er dauern? Eine Hundertstelsekunde? Eine Tausendstel? Reichte das für ein ganzes Leben? Oder würde nur gezündelt werden? Würden nur ein paar Episoden in Brand gesteckt, wie bei einem Videoclip? Ein wirres Geflimmer aus lauter Höhepunkten? Gewürzt mit ein paar Peinlichkeiten? Oder nur die Peinlichkeiten? 

     Bei ihm ganz sicher nur die Peinlichkeiten …

     Lieber nicht weiterdenken. 

     Lieber das Buch zur Hand nehmen, weiterblättern und sich in menschliche Abgründe vertiefen. Begleitet vom vagen Bild einer Frau, von der er bisher nur die Umrisse kannte. Umgeben von einem Duft, der ihn warnte.



Lesungen und Termine


Aktuell arbeite ich an meinem zweiten Roman, darum sind zurzeit keine Lesungen geplant.


Wer aber wissen möchte, was es alles gab:


28. September 2020: RADIO SRF 1: Kurzgeschichte „Elvira“ als Schreckmümpfeli;  23 Uhr


8. Dezember 2018: ZÜRICH, Krimiabend, Moderation (div. Autorinnen und Autoren, u.a. Bortlik, Mansour, Saladin)

Pestalozzibibliothek,  18 Uhr


29. Oktober 2016: ZÜRICH („Zürich liest“)  Lesung Sabina Altermann/Sunil Mann/Helmut Maier; Hotel Rothus, 21 Uhr


29. Oktober 2016: ZÜRICH („Zürich liest“); Krimitram, Lesung Mitra Devi/Helmut Maier; Tramhaltestelle Bellevue, 13.30 Uhr 


21. Oktober 2016: WEGGIS (LU); Krimidinner mit Silvia Götschi/Helmut Maier, Hotel Park Weggis, 19 Uhr


16. September 2016: ASCONA (TI); Lesung Mitra Devi/ Susy Schmid/Andrea Fazioli/Helmut Maier;

Libreriascona, 18 Uhr


22. Mai 2016: CHUR; Tonzeile, Lesung und Musik; Restaurant Va Bene, 16 Uhr


08. Dezember 2015: ZÜRICH; Krimiabend, Lesung Mitra Devi/ Marcus Richmann/ Roger Strub/Helmut Maier u.a., 

Pestalozzi-Bibliothek, 18 Uhr


24. Oktober 2015: ZÜRICH („Zürich liest“) Lesung Sabina Altermatt/Sunil Mann/Helmut Maier;

Buchhandlung Paranoia City, 18 Uhr


26. Oktober 2014: ZÜRICH Matinée: Lesung Sabina Altermatt/Sunil Mann/Helmut Maier

Buchhandlung Hirslanden, 11 Uhr


04. Oktober 2014: BALDERSCHWANG (D); Lesung im Hotel Hubertus, 21 Uhr


12. April 2014: WÄDENSWIL (ZH) Gespräch und Lesung mit Irene Grimm/Helmut Maier, Moderation Urs Heinz Aerni,

Lesegesellschaft, Stadtbibliothek


13. März 2014: LEIPZIG (D), Literaturmesse, Lesung Petra Ivanov/Mitra Devi/Helmut Maier

Moderation: Jutta Motz; im Schauspielhaus Leipzig


01. Dezember 2013: SCHÖNRIED (BE) Lesung Susanne Mischke/Sandra Perrey/Jürgen Alberts/Helmut Maier

20.30 Uhr, Hotel Ermitage


27. Oktober 2013: ZÜRICH Matinée; Lesung Mitra Devi/Susy Schmid/Helmut Maier

Buchhandlung Hirslanden, 11 Uhr


18. April 2013; BURGDORF (BE); Gourmet Lesung Gisa Klönne/Sibylle Zimermann/Helmut Maier 

Hotel Berchtold, 19 Uhr


04. März 2013: HERZOGENBUCHSEE Lesung und Gespräch in Aernis Büchershow


03. März 2013: GREIFENSEE Überraschungsgast in Aernis Büchershow


22. Februar 2013: HERISAU Buchvernissage Anthologie „Mord in Switzerland“
Lesung mit Petra Ivanov/Mitra Devi/Felix Mettler/Helmut Maier u.a.; Alte Stuhlfabrik, 19.30 Uhr


15. Februar 2013: SAVOGNIN (GR), Krimidinner im Restaurant Bellavista, Parsonz/Savognin, 18.30 Uhr


13. Februar 2013: WINTERTHUR Lesung und Gespräch mit Urs Heinz Aerni; Zentrum Obertor, 18.30 Uhr


8. Dezember 2012: ZÜRICH Benefiz Lesung am Krimiabend mit diversen Autorinnen und Autoren 

Pestalozzi-Bibliothek, 19.30 Uhr


23. August 2012: BASEL Lesung im Raum für Kunst und Literatur, Totengässlein 5, 19.30 Uhr


19. Mai 2012: SOLOTHURN (Literaturtage) Buchvernissage Fussballspielende Autoren der Schweiz (FADS)
gemeinsame Lesung aus „Das Chancenplus war ausgeglichen“; 20.30 Uhr im „Kultur“


27. April 2012: SCHMALLENBERG (D) Lesung an der Criminale, Ralph Kramp/Erich Glavitza/Helmut Maier; 

Bettenhaus Henneke, 20.30 Uhr


17. Juni 2011: RICHISAU (GL); „Stubete“, Dinner und Lesung im Gasthaus Richisau, Nähe Klöntalersee, 20 Uhr


03. Mai 2011: AARAU Krimiabend, Esther Pauchard / Helmut Maier; Restaurant Krone, 20 Uhr 


28. April 2011: BERN „Der Bund im Kairo“: Krimiabend Esther Pauchard / Helmut Maier; Café Kairo, 20 Uhr 


14. April 2011: APPENZELL; Lesung im  Bücherladen, 20 Uhr


07. April 2011: NEERACH; Lesung und Talk mit Urs Heinz Aerni/Helmut Maier; Mediothek, 20 Uhr


04. April 2011: ZUG; Lesung in der Buchhandlung Schmidgasse, 20 Uhr


25. März 2011: ZÜRICH; Krimiabend Esther Pauchard / Helmut Maier, Buchhandlung Hirslanden,  20 Uhr


20. Februar 2011: BÜTSCHWIL (SG), Lesung, Gemeindebibliothek, 20 Uhr


16. Februar 2011: WIL /SG, Lesung, Buchhandlung ad:hoc, 19.30 Uhr


06. Februar 2011: ALTDORF Matinée; Lesung und Gespräch mit Urs Heinz Aerni/Helmut Maier

Kantonsbibliothek Uri, 11 Uhr


19.November 2010: KIRCHBERG / SG 

Lesung im Café Central, 19.30 Uhr


17. November 2011: BRISTEN; Lesung im Schulhaus Bristen, 19.30 Uhr


11. November 2010: ZÜRICH, Krimiabend Esther Pauchard / Helmut Maier; Buchhandlung Nievergelt, 19.30 Uhr 


26. Oktober 2010: ZÜRICH; Vernissage „Bristen“, Pestalozzi-Bibliothek Zähringerstrasse, 19.30 UhrNeuer Text


Kurzgeschichten (kleine Auswahl)

Die Herrscherin (Gewinner beim Opennet Solothurner Literaturtage 2004)

                                           Alle Rechte bei Helmut Maier, Zürich


So habe ich sie noch nie gesehen. Langes, weisses Haar. Ein Nachthemd, das bis zum Boden reicht und offen lässt, ob sich darunter Füsse verbergen. Im Halbdunkel schwebt sie durch das Wohnzimmer. Zwischen uns nur der Tisch, ihr hüftlanges, offenes Haar und ihr Nachthemd.

Und warum kannst du nicht schlafen? Hast du was angestellt? 

Ich starre sie nur an.

Es ist nicht der erste Sommer, den wir bei Oma verbringen. Dieses lange Haar. Dieses Nachthemd. Behutsam legt sie eine dicke Federdecke über mich. Unter mir das harte Sofa. Notdürftig mit einem Leintuch bedeckt.

Hat die Tante wieder geschnarcht? 

Ein weiches Kissen unter den Kopf. 

Du musst sie halt wecken. Die schläft schon wieder ein. 

Ihre Hand auf meiner kindlichen Stirn. 

Krank bist du nicht. Ist es der Fluss?

Ich starre sie nur an. Die halbe Nacht haben sie mich herumgereicht. Vom Zimmer der Tante, bei der der Wecker tickt in das Zimmer der Eltern, bei denen der Wecker tickt in das Zimmer der Schwester, bei der der Wecker tickt. Zum Schluss ins Wohnzimmer, wo die grosse Wanduhr tickt. Der Fluss ist es nicht. Sein nahes Rauschen beruhigt mich. Selbst wenn sein nächtliches Hochwasser tost wie vor einer Woche, als sich das Dorf vor Omas Haus versammelte. Gespannt, ob die hölzerne Fussgängerbrücke den reissenden Fluten Stand hielte. Einzig Oma fehlte. Oma mit dem ewigen Knoten im Haar, der zu ihr gehörte wie ihre fehlende Neugier am Dorftratsch. Sie sass in der Küche, hörte ihre Nachmittagssendung und fädelte Bohnen. Später fütterte sie die Hühner im Gehege hinter dem Haus, keine drei Meter vom donnernden Fluss. 


Zwischendurch holte sie mich vom Wasser weg und schickte mich in den Keller. Most holen. Grossvater hatte Durst. Ich war stolz, dass sie mich neuerdings allein in den dunklen Keller hinabsteigen liess. Oma wusste, dass es da unten nichts gab, vor dem ich mich fürchten müsste. Ich durfte auch immer vom gleichen Most trinken wie Grossvater. Von jenem Most, mit dem er sich schon morgens die Welt verdoppelte, um den Verlust des einen Auges wettzumachen. Einen Verlust, um den Oma die Gerüchte ranken liess wie ihre Bohnen. Mit Erfolg. Bald wusste niemand mehr, was wirklich geschehen war. Spiel mit der Steinschleuder, Kriegsverletzung, Schlägerei in der Kneipe oder ein Sturz im Suff. Oma verliert darüber nie ein Wort. Stattdessen versüsst sie Grossvater das Restleben mit Most und mir den Most mit Zucker. Sie zimmert das Fass, das mich zum Trinker machen wird, so unbeirrt, wie sie die Hühner füttert, die sie später schlachtet. Auch darüber verliert sie nie ein Wort. Auch nicht über die Brücke, deren Einsturz ich im Keller verpasste, oder über ihren Kropf, der aussieht, als ob ihr ein hart gekochtes Ei im Hals stecken geblieben wäre. Die Rache der Hühner, wie meine Schwester meint. 

Mein Cousin nickt. Auch er ist jeden Sommer hier. Sie ist hart im Nehmen, sagt er. Oma verband ihm die Hand, als nicht mehr viel zu verbinden war. Seinen Schock verlängerte sie mit Schnaps, dass es im Hals nur so brannte. Und während alle um die eingetroffenen Sanitäter herumschwirrten, verschwand sie hinter dem Haus. Später sass sie auf dem Vordersitz der Ambulanz. Auf ihrem Schoss ein Marmeladeglas mit einer rötlichen Brühe. Der Beifahrer schaute hin und kippte um. Die Finger meines Cousins, eingelegt im Rest des Schnapses. Für den Fahrer gab es nichts zu überlegen. Wer Oma dort sitzen sah, wusste, dass es Zeit war loszufahren. Der Beifahrer wurde im Taxi nachgeliefert. 


Als sie zurückkam führte sie mich hinter das Haus. Zum Holzbock neben dem Hühnergehege. Holzhacken. Mit der blutverschmierten Axt, die viel zu schwer war für mich. 

Soso, zu schwer. Dann lass die Finger davon. Sonst landen sie auch im Schnaps. 

Sie nahm mir die Axt aus der Hand und warf sie in den Fluss. 

Wenn Oma etwas anordnete, galt es selbst für den Polizisten, den Pfarrer und die Ewigkeit. Alle drei hatten nichts zu melden, wenn Oma tat, was sie tun wollte. Sie bestimmte, dass sie den Sonntag heiligte, indem sie die Kirche mit ihrem Besuch verschonte. Sie legte fest, an welchen Tagen sie die Badezimmertür verschloss, um den älteren Cousin vom Schmutz zu befreien. Sie wusste, wann Kinder zu Heranwachsenden wurden und nicht mehr gemeinsam baden sollten. Sie erklärte, dass auch ich ab morgen alleine baden werde. 

Es ist die Uhr, flüstere ich, als sie sich leise über mich beugt. 

Der Raum ist jetzt dunkel. 

Ihre Hände streichen sanft über die Bettdecke. Sie drücken sie da und dort zu recht. Es fühlt sich an, als ob sie etwas suchen würden. Ihr Haar schmeichelt bereits über meine Wangen. Aha, sagt sie. Die Uhr.
Oma ist die letzte Instanz. Jeden Morgen zieht sie mit verknotetem Haar an den eisernen Tannzapfen der Wanduhr und gibt der Zeit neuen Anlauf. Ihr ist es auch vorbehalten, die Zeit anzuhalten. Sie macht es mit  derselben Bestimmtheit, mit der sie die Hühner köpft und anschliessend herumrennen lässt, wie sie uns Heranwachsende herumrennen lässt. Kopflos, bis uns der Schnauf ausgeht.

Im Dunkeln tastet sie nach dem Tannzapfen.

Die Zeit steht still.



ELVIRA

(Gewinner beim Literaturhaus Zürich 2004, Text des Monats August)

   verfilmt durch prêt-à-tourner und Sabine Lattmann, unterstützt u.a. vom Bundesamt für Kultur und vom Schweizer Fernsehen SRF

   vertont durch Radio SRF 1 als "Schreckmümpfeli"
                                                                     Alle Rechte bei Helmut Maier, Zürich



Herz kommt mir nicht auf den Tisch. Dafür massenhaft Salate. Alle aus meinem kleinen Garten. Direkt an der Autobahn. Mein Gesuch, die Salate auf dem Trennstreifen in der Mitte anpflanzen zu dürfen, wurde vor Jahren abgelehnt.
     Dabei hätte es damals am meisten gebracht. Es war die Zeit, als dem Benzin Blei beigemischt wurde. Damit der Motor nicht klopft. Es war auch die Zeit von Elvira. Herzklopfen, wann immer ich sie sah. Das brachte meinen Motor durcheinander. Darum mein Gesuch, Salat auf dem Mittelstreifen anzupflanzen. Es soll dort, so wurde gesagt, von Blei nur so wimmeln. Wenn ich genug Salat vom Mittelstreifen esse, würde vielleicht mein Herzmotor auch nicht mehr klopfen. 

     Der Beamte zeigte Verständnis. Trotzdem blieb er beim abschlägigen Bescheid. Zu gefährlich, sagte er. Und überlegen Sie sich einmal, dieses dauernde Hetzen über die Autobahn. Das wird nur zu neuem Herzklopfen führen. Das wäre ungesund. Ich solle doch den Salat am Rand der Autobahn anpflanzen. Da habe es auch ganz ordentlich Blei. Ich ass dann zwei Sommer lang nur Bleisalat. Trotzdem: Ein Blick von Elvira und mein Herz klopfte, raste, schleuderte. 

     Etwas muss die Salatesserei aber doch bewirkt haben. Das Herzklopfen geriet neuerdings beim Hals ins Stocken. Der war wie zugeschnürt, wenn ich sie sah. Nur tröpfchenweise gelangte das Blut in den Kopf. Allerdings nicht bis zur Sprachzentrale. Nur bis zur Zunge. Die wurde schwer wie Blei, wenn sie mich ansprach. Wahrscheinlich lag das an der Dosierung. Ich habe darum den Garten verlegt, eine Spur weiter weg von der Autobahn. Den Erfolg konnte ich nicht mehr testen. Das mit dem Blei im Benzin wurde plötzlich abgeschafft. Es war die Zeit, als Elvira einen Porsche heiratete. Und einen Herzschrittmacher. Herzschrittmacher waren der letzte Schrei. Wie immer, wenn etwas Neues erfunden wird. 

     Manchmal habe ich mich vom Unkrautjäten aufgerichtet und Elvira vorbeiflitzen sehen. Sie war oft allein, pfeilschnell unterwegs. Wie gerne wäre ich neben ihr gesessen. Ich habe dann den Garten an die Autobahn zurückverlegt. Um sie besser sehen zu können. Mit der Zeit konnte ich ihren Motor aus Tausenden heraus hören. Zu Beginn winkte ich ihr jedes Mal zu. Später nur noch selten. Weil oft ein junger Mann neben ihr sass, wenn sie gegen Süden fuhr. Immer wieder ein anderer. Wenn sie nach zwei Tagen zurückkam, war sie wie ein strahlender Sonnenschein und es schien mir, als ob ihre Haare im Wind wehten. Selbst wenn beim Porsche die Fenster geschlossen waren. 

     Wenn die Haare nicht mehr wehten, fuhr sie das nächste Mal allein. Dann winkte ich ihr wieder zu, manchmal winkte sie zurück. Bis ein anderer junger Mann neben ihr im Auto sass. Aber nie der Herzschrittmacher. Auf Elviras Fahrten wäre sein Motörchen zu sehr ins Rasen gekommen. Verkehr schien ihm auch sonst nicht zu behagen. Eines Abends hielt er nämlich plötzlich nicht mehr mit. Im Bett. Direkt neben Elvira. Vielleicht auch über ihr oder unter ihr. Die Gerüchte waren etwas ungenau. 

     Der Herzschrittmacher wurde dann aufgeschnitten. Wahrscheinlich schauten sie nach, ob er nicht genug Blei im Blut hatte. Haus und Porsche wurden gepfändet. Spitalschulden. Beim Begräbnis sah ich Elvira nur von weitem. Ich hätte ihr gerne kondoliert. Aber schon bei ihrem Anblick war mir der Hals wie zugeschnürt. Sie war wunderschön in ihrem schwarzen Kleid. Die Jungs neben mir tuschelten, es sei dasselbe Schwarz wie das der Peitsche, der Wäsche und der Stiefel, die sie in jener Nacht getragen habe. Und der Schleier gleiche jenem, der von der Polizei beschlagnahmt worden sei. Weil er beim Liebesspiel die Luft des alten Mannes immer dünner werden liess. Auch ihm der Hals wie zugeschnürt. 

     Elvira muss das Ganze sehr nahe gegangen sein. Noch während des Leichenmahls verschwand sie für längere Zeit. Man hörte sie auf der Toilette wimmern und stöhnen und zwischendurch gegen die dünnen Holzwände hämmern. Als sie zurückkam, war sie ganz aufgelöst. Die Haare zerwühlt wie beim Schlossherrn, der kurz vor ihr an den Tisch zurückgekehrt war. Zwei Monate später heirateten sie. Der Schlossherr war zwar auch im Alter des Herzschrittmachers, aber Bergsteiger mit einem Radfahrerherz. Das sagte mir Elvira, als sie aus dem Nichts bei mir im Garten auftauchte. Ich war sprachlos wie immer und hörte nur zu. 

     Ein Radlerherz, so Elvira, hat einen Ruhepuls von vierzig. Wir sassen nebeneinander auf der Bank. Sie nahm meine Hand und wollte meinen Puls messen. Sie konnte nicht wissen, dass ich keinen Ruhepuls hatte, wenn sie da war. Ganz schön hoch, lobte sie mich, und ich wusste nicht, ob sie meinen Puls oder meinen Blutstau in der Hose meinte, den sie an ihrer Uhr vorbei neugierig betrachtete. Mit so einem wie mir würde sie ja gerne zusammen sein. Aber das habe sie ja nicht wissen können. Ich sei immer so still gewesen. Und jetzt habe sie diesen Radler am Hals, der zwar ein wunderschönes Schloss und vier Autos habe, aber eben auch ein Herz. Das heisst, eben kein Herz. Er behandle sie wie den letzten Dreck. Und sie sehne sich doch so nach Liebe. Nach wahrer Liebe. Darum würde sie nur noch einen nehmen, der auch einen ordentlichen Puls habe. So wie ich. Ja, mit mir würde sie gerne zusammen sein. Nicht mit diesem Quäler. Aber so lange sie mit ihm verheiratet sei, sei da nichts zu machen. Scheiden komme für ihn nicht in Frage. Er wolle sie nicht freigeben. Das halte ihr Herz nicht aus. 

     Sie schaute auf die Autobahn. Dann auf meine Salate. Was ich denn mit meinem Garten so mache, fragte sie. Langsam liess sie ihre Hand sinken. Unmittelbar neben meinen Blutstau. Hoffentlich will sie dort nicht auch den Puls nehmen. Sofort sprudelte es aus mir heraus, während ich auf ihre Hand schielte. Ich erzählte ihr die Herzgeschichte, die Salatgeschichte, die Bleigeschichte. War gar nicht so schlimm, das Reden mit Elvira. 

     Sie nahm meine Hand in ihre Hand und wurde ganz nachdenklich. Blei wäre die Lösung, meinte sie. Dann könnte sie immer mit mir zusammen sein. Man müsse es nur richtig machen. Einfach gut zielen. 

     Sie hat mir dann eine Bleispritze besorgt. Leider ging das voll daneben. Der Radler blieb einfach leblos liegen. Ruhepuls Null. Wieder falsch dosiert. Das war ganz grosses Pech. Denn jetzt wollte Elvira nichts mehr von mir wissen. Ich hätte sein Herz nur erweichen sollen, damit er sich scheiden liesse. Nicht mit Blei vollpumpen. Mit einem Mörder könne sie natürlich nicht zusammen sein. Womöglich komme jemand dahinter und würde mich anzeigen. Ich im Gefängnis und sie draussen und allein. Das gehe auf keinen Fall. Das würde ihr das Herz brechen. 

     Ich hab‘ ihr dann etwas anderes gebrochen. Es gab nur einen kleinen Knacks im Hals, als ich ihr zeigen wollte, wie es mir die Luft abdrückt, wenn sie jetzt geht. Auch das habe ich falsch dosiert. 

     Das kleine Tiefkühlfach im Kühlschrank ist gerade gross genug für ihr Herz. Den Rest habe ich im Garten begraben. Schön aufgeteilt unter den Salaten. Nicht sehr tief. Sonst kommen die Wurzeln nicht an sie heran. So wird Elvira Stück für Stück ein Stück von mir. Ausser ihrem kalten Herz. Das kommt mir nicht auf den Tisch.   



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